Wir freuen uns auch sehr, dass wir dieses Jahr über die Stadtgrenzen Göttingens hinaus feministische Bewegungen am 8. März zusammenbringen konnten. Aus Potsdam haben die women in exile einen Redebeitrag zu der Situation und den Forderungen von geflüchteten Frauen in Deutschland gehalten und aus Hannover gab es eine Perspektive zu der Verstrickung von Rassismus und Antifeminismus bei Pegida. Danke nochmal an dieser Stelle! Wir finden diesen Austausch sehr bereichernd und wichtig und wollen daher auch nochmal die Redebeiträge an dieser Stelle veröffentlichen, für alle die es nochmal nachlesen wollen, was sie gehört haben, die nicht dabei sein konnten, die nicht zuhören konnten, …:
Women in Exile:
Der internationale Frauenkampftag hat viele Bedeutungen und Beweggründe – er ist ein Anlass um auf die Straße zu gehen, ein Anlass um zu Feiern, ein Grund um inne zu halten, vergangene Kämpfe anzuerkennen und sie weiterzuführen. Er ist Erinnerung und Inspiration. An diesem Tag werden überall auf der Welt hart erkämpfte Schritte für bessere Lebensbedingungen für Frauen überdacht, genauso wie der Prozess der noch notwendig ist.
Women in Exile möchte beim Feiern des Internationalen Frauenkampftags auch darüber sprechen, wie uns die Landesregierung Brandenburgs und die Bundesregierung Deutschlands behandeln. Am 07. März 2015 waren wir auf der Straße, um gemeinsam vom Hauptbahnhof zum neurenovierten Stadtschloss Postdams zu gehen, wo sich der Landtag Brandenburgs befindet. In den letzten Jahren haben wir sie immer und immer wieder zur Abschaffung aller Flüchtlingslager aufgefordert, oder zumindest dazu, Frauen und Kindern die Möglichkeit zu geben aus den Lagern auszuziehen. Trotzdem sehen wir, dass den lokalen Behörden Geld zur Verfügung gestellt wird, mit dem sie bereits existierende, isoliert liegende Lager ausbauen, und zu den bestehenden Lagern neue dazu kommen. Und durch eine Änderung des Baurechts ist nun auch das Bauen von Lagern in Gewerbegebieten und sogar in Form von Containern erlaubt!
Wie unsere Floßtour durch Deutschland letzten Sommer gezeigt hat, sind diese Missstände nicht nur in Brandenburg zu finden. Die Floßtour gab uns die Möglichkeit verschiedene Lager zwischen Nürnberg und Berlin zu besuchen. Dabei wurde uns klar, dass in den unterschiedlichen Bundesländern Lager und Heime in unterschiedlichen Varianten existieren. Einige von ihnen sind beispielsweise ehemalige Sporthallen oder Container. Für uns war es ein großer Schock während unserer Floßtour zu sehen, wie Sporthallen in Notunterkünfte für Flüchtlinge umfunktioniert werden. Menschen wurden dort unter dem Vorwand untergebracht, dass ihr Aufenthalt nur für kurze Zeit wäre. Stattdessen mussten sie dort monatelang bleiben. Die Sporthalle war zum Leidwesen der dort wohnenden Asylsuchenden überfüllt. Viel zu viele Menschen wurden auf viel zu wenig Raum untergebracht. Es gab keinerlei Privatsphäre für niemanden. Beispielsweise mussten Familien mit und ohne Kinder in je einem Doppelbett nebeneinander schlafen. Unter solchen Lebensbedingungen leben zu müssen, macht unsere Situation noch hoffnungsloser.
Ist die Bundesregierung Deutschlands wirklich so ratlos wie sie die prekäre Situation geflüchteter Menschen verbessern können? Oder ist es so, dass sie keinen politischen Willen haben die Lebensbedingungen von Flüchtlingen zu verbessern, da sie so schnell wie möglich abgeschoben werden sollen? Im Gegensatz zur rassistischen Politik der bundesdeutschen Regierung sind wir allen Willkommensinitiativen, anti-rassischtischen und feministischen Gruppen sowie Menschenrechtsorganisationen in unterschiedlichen Teilen des Landes dankbar dafür, dass sie Flüchtlinge und illegaisierte Personen in ihren Anliegen unterstützen, und gemeinsam mit uns versuchen das Leben unter den genannten prekären Umständen erträglicher zu machen.
Wir erneuern unseren Appell:„Keine Lager für Frauen! Alle Lager abschaffen!“, da wir keinerlei Veränderungen unserer Lebensbedingungen sehen: Immer noch liegt die Mindestquadratmeterzahl, die Asylsuchenden zugeteilt wird, bei 6qm pro Person. Immer noch werden wir oft mit der Unterbringung in abgelegenen Unterkünften ausgegrenzt und sind damit rassistischen Angriffen ausgeliefert.
Immer noch wird uns selten die Möglichkeiten gegeben, in privaten Wohnungen zu leben wie andere Menschen auch. Flüchtlinge, die dazu gezwungen werden in Flüchtlingsheimen zu wohnen leiden oft unter Depressionen, entweder aufgrund ihre unmenschlichen Lebensbedingungen in den Lagern, diskriminierenden Gesetztesgebungen wie zum Beispiel dem Arbeitsverbot oder aus Angst vor Abschiebung in vermeintlich „sichere“ Staaten oder nach der Dublin 3 Verordnung.
Als ob die eben genannten Lebensbedingungen nicht schon schlimm genug wären, müssen wir zudem körperliche Gewalterfahrungen in den Lagern aushalten. Wenn aus diesen Vorfällen überhaupt irgendeine Art von Konsequenzen gezogen werden sollten, wird der Agressor meistens einfach von einem Lager zu einem anderen übergeben. Das bedeutet, dass er für andere Frauen und Kinder eine andauernde Gefahr darstellt. Zusätzlich zu diesem Misstand müssen wir im alltäglichen Leben mit mangelnder Privatsphäre, mit unerträglichen hygienischen Zuständen der Gemeinschaftsräume und mit freiheitsberaubenden Regelungen der Lagerleitung kämpfen – die uns beispielsweise oftmals keine Besucher*innen erlauben, und wenn dies doch so sein sollte, uns dazu zwingen für unsere Gäste zu bezahlen. Wir müssen mit beständiger Angst leben und mit der Tatsache, dass unsere Leben von diskriminierenden Gesetzen und Regelungen bestimmt werden.
Wie lange noch soll Angst unsere Leben bestimmen? Schon bei der langen Reise nach Europa mussten wir uns vielen Gefahren und Risiken aussetzen. Angst begleitet jeden einzelnen versuchten Grenzübergang, und sie wird noch größer wenn wir dieses Ziel erreichen. Wir leben in ständiger Angst abgeschoben zu werden, in Sorge davor zum wiederholten Male innerhalb der EU von einem sogenannten „sicheren“ Staat zum nächsten abgeschoben zu werden, und mit der Furcht vor (noch) schlimmeren Lebensbedingungen in diesen uns unbekannten Ländern. In den Straßen von Europa haben wir jeden Tag mit der Angst vor körperlicher Gewalt oder rassistischen Übergriffen zu kämpfen. Jeden Tag müssen alle von uns mit all diesen Arten von Angst und Furcht leben.
Flüchlingsfrauen sind von diesen unmenschlichen Lebensumständen doppelt betroffen. Sie leiden am Meisten, da oftmals sie diejenigen sind, die unter diesen prekären Lebensbedingungen Verantwortlichkeiten für sich selbst und ihre Familie übernehmen. Sie tragen eine doppelte Last, denn sie kämpfen nicht nur als Flüchtlinge, sondern auch als Frauen. Deshalb erneuern wir unseren Appell: „Keine Lager für Frauen! Alle Lager abschaffen!“
Wir akzeptieren die Antwort der Bundesregierung auf unsere Forderungen nicht, dass „Dinge so sind wie sie sind“ da die juristischen Gesetze, die diese Aspekte regeln kompliziert seien und da wir eine Zunahme von Asylsuchenden hätten. Wir sehen, dass die bundesdeutsche Regierung alles in ihrer Macht stehende tut, um die Flüchtlinge die für den Staat wirtschaftlichen Nutzen haben, Zugang zu Deutschland zu verschaffen – während der Rest entweder direkt in ihr Heimatland, oder als Betroffene der Dublin-3-Verordnung in andere europäische Länder abgeschoben wird. Wir wissen, dass es günstiger ist in Wohnungen als in Lagern zu wohnen.
Lasst uns also beim Feiern des Internationalen Frauentags 2015 (und feiern sollten wir ihn!) bedenken, dass unsere Kämpfe noch lange nicht vorbei sind. Wir fordern:
– von der Bundesregierung: Beenden Sie ihre rückwärtsgewandte Abschreckungspolitik der 90er-Jahre, die das Ziel hat, Flüchtlinge von der Einreise nach Deutschland abzuhalten oder sie zum Zurückkehren zu zwingen!
- von den Landesregierungen: Erlassen Sie landesweite Regelungen, die die Landkreise und Bezirke anweisen, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen – vor allem die Frauen und Kinder!
- von den lokalen Behörden: Integrieren Sie Flüchtlinge in Ihre Landkreise und Bezirke, indem Sie ihnen die Möglichkeit geben, in Wohnungen zu leben – wo immer sie wollen!
hier klicken zum nachhören: auf deutsch oder auf englisch
aus Hannover „Pegida – eine Antifeministische und Rassistische Bewegung„:
PEGIDA spaltet sich und tritt unter immer neuen Kürzeln auf. Wir alle verlieren inzwischen den Überblick. Ist die ‚Pegida‘-Bewegung deshalb jetzt nicht mehr ‚der Rede wert‘? Leider NEIN!
Es bleibt ja die Frage, wofür steht sie – oder wofür hat sie gestanden? Warum ist es ihr gelungen, so viele Menschen zu mobilisieren? ‚Rassistisch‘ sei sie, wird gesagt. Rassistisch? Gleich im ersten Punkt ihres Positionspapieres begrüßt sie die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen und politisch oder religiös Verfolgten. Diese Bewegung soll rassistisch sein? Ja doch, sie IST rassistisch:
– Weil sie zwischen ‚willkommenen‘ und nicht ‚willkommenen‘ Flüchtlingen unterscheidet.
– Weil einige ihrer Anhänger_innen Gräuelmärchen über die nicht ‚urddeutschen‘ Menschen verbreiten.
– Weil sie die Anwendung von Gesetzen verlangt, die eindeutig menschenfeindlich sind und die das Mittelmeer weiterhin zum ‚Toten Meer‘ machen.
Und – und … und …. Der Teufel steckt im Detail.
Und Pegida ist rassistisch und sexistisch zugleich. In Punkt 10 spricht sie sich FÜR den Widerstand gegen eine frauenfeindliche, gewaltbetonte politische Ideologie aus – aber nicht gegen hier lebende, sich integrierende Muslime! Hört sich gut an – oder?
Im Klartext heißt dies aber: der muslimische Mann, der ja der ‚gewaltbetonten Ideologie angehört‘, ist frauenfeindlich und gewalttätig und nur, wenn er sich so benimmt wie der deutsche weiße Mann, kann von Integration geredet werden. Gewalt gegen Frauen geht also von Muslimen aus? In einem Bericht von 2013 wird konstatiert, dass jede vierte Frau in ihrem Leben zumindest ein Mal von einem Lebenspartner körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfährt und jährlich 45 000 Frauen in Deutschland mit ihren Kindern in ein Frauenhaus fliehen“. Sind alle diese Partner Muslime? Doch eher nicht!
Auf den Punkt gebraucht heißt also dieser weichgespülte Satz: Die deutsche Frau den deutschen Männern!
Was sagt nun Pegida zu der Forderung von Feministinnen, überall hör- und sichtbar zu sein, die Hälfte des gesellschaftlichen Kuchens zu bekommen?? Im Artikel 17 heißt es: „Pegida ist gegen dieses wahnwitzige ‚Gender Mainstreaming‘, auch oft ‚Genderisierung‘ genannt, die nahezu schon zwanghafte, politisch korrekte Geschlechtsneutralisierung unserer Sprache!” Also ‚wahnwitzig‘ und ‚zwanghaft‘. Mit dieser – wie mit anderen Äußerungen spiegelt Pegida durchaus ein Massengrummeln in der – nicht nur männlichen – Bevölkerung wider: Die Feministinnen nerven!
Aber: Wir Frauen sind die Hälfte der Gesellschaft, warum sollen wir nur ‚mit gemeint‘ sein? Wir fordern unseren selbstdefinierten Platz in der Gesellschaft! Und es geht um mehr als nur die Sprache! Es gibt ideologische Brücken zu anderen Bewegungen. Da ist das Feindbild der Bildungsreform In Baden-Württemberg, durch die die armen unschuldigen Kinderlein einer “Frühsexualisierung” unterzogen werden‚ da ist die Bewegung in Frankreich, die sich den Kampf gegen ‚Homo-Ideologie‘ auf die Fahnen geschrieben hat. Dagegen steht die Hochstilisierung der ‚heiligen Familie‘ mit Mann und Frau und Kindern auf ihren ‚naturgegebenen‘ Plätzen. Der ‚Genderismus‘ ist für Pegida eine Chiffre für eine fehlgeleitete, dem ‚Volkskörper‘ schadende Entwicklung, der mit dem Kampf gegen den ‚Genderwahn‘ begegnet werden soll.
Insgesamt wird eine in der Bevölkerung vorhandene Unzufriedenheit bedient und zu einer rechten Mobilisierungswelle missbraucht. Die tatsächlich vorhandenen Probleme werden missliebigen Gruppen in die Schuhe geschoben, die Ursachen für schlecht bezahlte Jobs, Überlastung und die realen Probleme werden auf die Schwächsten projiziert: das hatten wir schon!
Viele Menschen fühlen sich von ‚der Politik‘ nicht mehr repräsentiert, ihre Probleme nicht mehr ernst genommen. Viele Menschen können ihre Existenz kaum sichern, brauchen zwei oder drei Jobs zum Leben, sind aus der schönen Welt des Konsums weitgehend ausgeschlossen, sind aber umgeben von einem Klima des Kaufrauschs. Ein Rückgriff auf die ‚schöne heile Welt‘ als ‚Krisenlösungsmodell‘ bietet sich an. Statt Erwerbs- und Familienarbeit grundsätzlich umzustrukturieren, wird die Frau im Hause alles richten: den Kindern ist sie eine aufopferungsfähige Mutter und dem ausgepowerten Ehemann eine liebevolle Gattin! Und schon ist die schöne spätkapitalistische Welt wieder in Ordnung. Pegida spricht von ‚sozialer Kälte‘, die es zweifelsohne gibt, von der alten Frau, deren Rente nicht reicht, während man “Fremden” angeblich alles in den Hintern schiebt. Da sollen doch erst mal die ‚Deutschen‘ und vielleicht noch die ‚integrierten‘ ‚Fremden‘, die mit der ‚richtigen Identität‘ bedient werden!
Der Verteilungskampf zwischen (im völkischen Sinne) Deutschen und Nicht-Deutschen wird entsprechend inszeniert.
Aber was sollen wir in diesem Zusammenhang tun?
Statt über diese populistisch und reaktionär bis faschistoid missbrauchte Unzufriedenheit zu jammern, müssen wir Alternativen entwickeln. Wir müssen die Frage ‚Geschlechtergerechtigkeit‘ mit einer Kritik sowohl am Kapitalismus als auch am Patriarchat verbinden. Wir müssen aufzeigen, dass nicht die karrieregeile Aufsteigerin die Familien kaputtmacht, sondern der Arbeitsmarkt. Dass es nötig ist, die traditionellen hierarchisch- patriarchalen Arbeitsverhältnisse rund um die Familie und im Erwerbsleben zu verändern.
Und es muss betont werden, dass die ‚gendergerechte Sprache‘ ja überhaupt nicht ‚geschlechterneutral‘ ist, wie Pegida behauptet. Im Gegenteil: sie macht deutlich, dass es verschiedene Geschlechter und verschiedene sexuelle Orientierungen gibt – und entsprechende Verlierer_innen und Gewinner_innen. Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen und politischen Vorhaben zu berücksichtigen, dass der reale jeweils ‚weibliche‘ und ‚männliche‘ Lebenszusammenhang unterschiedliche Interessen, Privilegien – oder eben Diskriminierungen zur Folge hat.
Wir müssen ‚Rassismus‘ und ‚Sexismus‘ gleichzeitig bekämpfen und aufzeigen, dass patriarchale und kapitalistische Strukturen nach ‚Sündenböcken‘ suchen, wenn Krisen zu offensichtlich werden.
Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen!
Wir positionieren uns gegen Fremden- und Frauenfeindlichkeit und wenden uns damit gegen Kapitalismus und Patriarchat!