Im Rahmen der Diskussionen um die Auswirkungen und Analysen von den G20-Protesten gibt es bei Monsters eine Reihe an Interviews um eine entsprechende Debatte öffentlich zu führen. Wir haben dem Monsters ein Interview gegeben. Euch möchten wir die lange, ungekürzte Fassung vorstellen:
monsters: Warum habt ihr zum G20 nach Hamburg mobilisiert?
[femko]: Wir sehen im G20-Gipfel ein Symbol für die Herrschaftsstrukturen, gegen die sich unsere alltäglichen politischen Kämpfe richten – Beispielsweise weltweite kapitalistische und neokoloniale Ausbeutung, patriarchale Strukturen und Rassismus.
Außerdem gibt’s bei solchen Großprotesten auch immer gute Möglichkeiten, unterschiedliche Perspektiven queer-feministischer und antikapitalistischer Kritik zu verbinden und sich mit linken Aktivist*innen aus anderen Regionen und vor allem auch international zu vernetzen.
Cool war, dass die Strukturen vor Ort schon einen sehr breit angelegten Protest möglich machten. So fiel es leichter nach Hamburg zu mobilisieren.
monsters: Der G20 Gipfel und eine radikale Kritik war in Göttingen in den Woche vor dem 7./8.Juli kaum zu vernehmen.
War es schwer in Göttingen für die Gipfelproteste zu mobiliseren?
[femko]: Naja, das ist eine Frage der Perspektive. Wir hatten schon den Eindruck, dass es in vielen Zusammenhängen Interesse gab, sich frühzeitig zusammenzusetzen und zu gucken wie man mobilisieren und auf Inhalte aufmerksam machen kann. Gleichzeitig würden wir auch sagen, dass die Resonanz geringer ausgefallen ist als erwartet. Natürlich war noch eine Menge anderes los, z.B. die ‚Überwachungsaffäre des Staatsschutz‘ in Göttingen, Abschiebungen und geplante Neonaziaufmärsche in der Zeit vorher.
Die Veranstaltungen vom Bündnis „Göttingen goes G20„, bei denen sich Interessierte informieren und auf unterschiedliche Protestmöglichkeiten vorbereiten konnten, haben einen guten Monat vor dem G20 begonnen. Auf einigen Veranstaltungen haben wir auf jeden Fall gemerkt, dass es eine Menge Aktionspotential gibt, auch an Blockaden teilzunehmen usw. Deshalb glauben wir nicht, dass es an Interesse mangelte.
Aber Leute, die sich noch nicht mit G20 beschäftigt haben oder noch nie auf einer großen Demo waren, wurden wahrscheinlich in dem Zeitraum nicht mehr erreicht. Vermisst haben wir dabei Infos und Aufrufe zu den Gipfelprotesten von großen Bildungsträgern, dem AStA oder anderen Uni-Institutionen.
monsters: Zu welchen Protestaktionen gegen den Gipfel in Hamburg habt ihr aufgerufen?
[femko]: Wir haben uns nicht auf eine bestimmte Aktion konzentriert. Uns ging es darum, die Bandbreite an Aktionsformen und Themenschwerpunkten aufzuzeigen, damit Leute sich ein Bild machen und dann entscheiden können. Insbesondere das Zusammenspiel von den verschiedenen Aktionen macht den Protest aus.
Nur zu sowas wie der „Protestwelle“ vor dem Gipfel oder „Hamburg zeigt Haltung“ mit SPD und Grünen haben wir explizit nicht aufgerufen, weil die sich in Abgrenzung zu der internationalen Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20!“ gegründet haben und sich positiv auf G20 beziehen. Wir haben also zu Aktionen aufgerufen, wie „Block G20“, Hafenblockade, den Aktionen von „Alles Allen“ oder der Refugee-Demo im Vorfeld des Gipfels.
Dabei haben wir vor allem mit dem queer-feministischen Bündnis aus Hamburg zusammengearbeitet, mit denen wir ja auch eine Mobilisierungsveranstaltung in Göttingen hatten. Wir finden es sehr wichtig, innerhalb solcher großen Proteste radikale queer-feministische Inhalte sichtbar zu machen und uns abzugrenzen von pseudo-feministischen Vereinnahmungen wie sie beim W20, diesem Frauengipfel, gemacht wurden. Darüber hinaus haben wir in den selbstorganisierten FauenLesbenTrans*-Strukturen eine gute Aktionsgrundlage gehabt.
Innerhalb dieser Vernetzung gab es beispielsweise einen Austausch darüber, was es bedeutet als Frau, als Lesbe, als Trans*person in die GeSa zu kommen. Solche Strukturen sind enorm wichtig und stellen Sachen bereit, denen sonst häufig nicht viel Bedeutung beigemessen wird.
monsters: Würdet ihr den Verlauf eurer Aktion als Erfolg werten? Inwiefern musstet ihr spontan auf Ereignisse und Dynamiken vor Ort reagieren?
[femko]: Wir sehen es auf jeden Fall als Erfolg, dass der reibungslose Ablauf des Gipfels an vielen Stellen durch Blockaden gestört wurde, z.B. beim Transfer der Gipfeldelegationen etc. Und dass die blaue Zone als protestfreier Raum nicht durchgesetzt werden konnte. Außerdem dürfte jetzt klar geworden sein, dass ein solcher Gipfel in einer Großstadt massenhaften Widerstand mit sich bringt. Für uns war es auch sehr empowernd, zu sehen, dass so viele Menschen trotz der vielen Schikanen im Vorfeld nach Hamburg gekommen sind. Und dass selbst die massive Polizeigewalt und das Aushebeln von Grundrechten durch Politik und Polizei diesen Protest nicht brechen oder spalten konnten.
Gleichzeitig fällt es uns schwer, eine Erfolgsbilanz zu ziehen, wenn es so viele Verletzte gab und immer noch Menschen in Hamburg im Knast sitzen.
Du hast nach spontanen Reaktionen gefragt: Naja, die brauchte es natürlich permanent, angefangen bei der rechtswidrigen Verhinderung der Camps. Genauso musste auf die Gewaltorgien der Polizei reagiert werden.
Wie am Donnerstag bei der „welcome to hell“-Demo. Da haben sich einfach mal Zehntausende Leute sofort solidarisch gezeigt und sich nicht einschüchtern lassen, sich erneut zusammengefunden um gegen diese autoritäre Scheiße auf die Straße zu gehen.
Wir fanden es beeindruckend, wie spontan auf die Umstände reagiert wurde. Da wurden mal eben Schlafplatzbörsen organisiert, es gab überall starke linke Strukturen, Sanis, Essen, Trinken usw.
Das zeigt auf jeden Fall die Motivation und Stärke der Protestierenden.
monsters: Die Polizei konnte Handlungsmacht weit über das gewohnte Maß hin für sich beanspruchen. Wie habt ihr das polizeiliche Auftreten wahrgenommen? Inwiefern ist es richtig, von einer neuen Dimension von Polizeigewalt zu reden?
[femko]: Das polizeiliche Auftreten haben wir als sehr aggressiv und eskalierend wahrgenommen. Wie massenhaft Leute mit Pfefferspray, Schlagstöcken usw. von Bullen attackiert und verletzt worden sind, das war schon heftig zu erleben. Natürlich wird genau das gezielt als Polizeistrategie eingesetzt, um Protest zu verhindern und Demonstrationen aufzulösen. Hier wurde deutlich, dass die körperliche Unversehrtheit der einzelnen Menschen überhaupt keine Rolle gespielt hat. Das einzige Ziel der Polizei war, Leute in Panik zu versetzen, einzuschüchtern, zu verletzen, und ihnen dabei keinen Ausweg zu lassen.
Beispielhaft dafür ist die „welcome to hell“-Demo: Hier hat die Polizei an einer Stelle in die wartende Demonstration geknüppelt, wo es für die Menschen keine Fluchtmöglichkeiten gab. Damit hat sie Tote in Kauf genommen. Denn dass es nicht zu einer Massenpanik kam, ist nur der Besonnenheit und der Solidarität unter den Demonstrierenden zu verdanken.
Dieses Auftreten der Polizeieinheiten ist das Ergebnis von immer mehr Macht, die der Polizei in den letzten Jahren verliehen wurde. Wir denken da u.a. an die neuen Gesetze zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, die polizeilicher Willkür bei Demonstrationen Tür und Tor öffnen. Das Hamburger Bullenszenario und der mediale Aufschrei über angebliche Gewalt gegen Polizeibeamte und das gleichzeitige Verschweigen bzw. Leugnen von Polizeigewalt sind das Spiegelbild einer sich nicht erst kurz vor dem G20-Gipfel nach rechts verschiebenden Gesellschaft. In dieser werden Rechtsstaatlichkeit – wie auch immer diese aussehen mag – und Versammlungsfreiheit immer weiter ausgehöhlt.
monsters: Und müsste die Linke nicht auch stärker in den Blick nehmen, dass die Polizei immer stärker als eigenständige politische Akteurin auftritt?
[femko]: ‚Die Linke‘ nimmt das sehr wohl in den Blick. In Göttingen beispielsweise im Rahmen der politischen Begleitung eines Prozesses, bei dem es um einen rechtswidrigen Polizeieinsatz bei einer Abschiebung ging, oder in Form von Kritik an der Verschärfung des §§ 113ff StGB „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ oder als Reaktion auf die neueste Überwachungsaffäre des Göttinger Staatsschutzes. Die Frage ist wohl eher, warum das sonst niemand tut.
monsters: Die mediale und polizeiliche Kampagne zielt ja nun vor allem auf die Gewaltfrage. Inwiefern muss die Linke dazu Stellung beziehen?
[femko]: Natürlich wird sich jetzt auf die Gewaltfrage gestürzt. Schon vor dem Gipfel ging es ausschließlich um ‚friedlich oder nicht‘, nicht um Inhalte.
Hier stellt sich mal wieder die Frage, wer eigentlich wozu Stellung beziehen soll. So viel Gewalt auf diesem Planeten erfordert offenbar zu keinem Zeitpunkt eine Stellungnahme von irgendwem, klirrende Scheiben aber schon? Deshalb: nein, ‚die Linke‘ muss gar nix. Mal ganz abgesehen davon, dass ‚die Linke‘ ein ziemlich heterogener Haufen aus verschiedensten Strömungen, Gruppen etc. ist.
Sicher ist es wichtig, sich über sinnvolle Aktionsformen Gedanken zu machen. Aber dass sich jetzt plötzlich alle zu eingeschlagenen Fensterscheiben und kaputten Bankautomaten verhalten sollen, während immer noch Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken, kotzt uns an. Zurzeit ist gerade an den NSU-Urteilen zu sehen, wie viel Wert zum Beispiel Menschenleben beigemessen wird: den 832.000€ für alle Angehörigen der 10 Mordopfer zusammen stehen 40 Mio.€ Entschädigung für abgebrannte Autos und Umsatzeinbußen in Hamburg gegenüber.
Der Begriff Kampagne erfasst vielleicht schon ganz gut, was da gerade passiert. Da werden Polizei-Tweets als Berichterstattung eins zu eins übernommen und einfach zur Wahrheit erklärt. Die fake news, die die Polizei während des Gipfels verbreitet hat, sind das beste Beispiel dafür, dass das weder neutrale Informationen noch Wahrheiten sind. Mit den gefälschten Zahlen zu verletzten Polizeibeamt*innen z.B. wird eine perfide Täter-Opfer-Umkehr betrieben. Es geht auch darum, Polizeipropaganda als solche zu markieren und anzugreifen.
Es gibt zwar eine gewisse Empörung bezüglich der polizeilichen fake news und es werden auch immer mehr Fälle von Polizeigewalt in Hamburg öffentlich gemacht. Der Aufschrei hierüber ist aber minimal im Vergleich zu der inhaltslosen Effekthascherei der Berichterstattung über den Gipfel-Freitag mit dem angeblichen ‚Bürgerkrieg‘ in Hamburg. Auch da braucht es eine noch stärkere Gegenöffentlichkeit, Solidaritätskampagnen etc.
Unfassbar finden wir auch die gezogenen Vergleiche von ‚Linksextremismus‘ und rechtem Terror oder dem IS. Diese Relativierung von gezielten Morden des NSU oder von islamistischen Anschlägen, bei denen Dutzende Menschen getötet werden, ist einfach widerlich.
Gleichzeitig überrascht uns diese Haltung nicht. Die repressive Verfolgung und politische Hetze gegen radikale linke Bewegungen steht auch nach dem Ende des nationalsozialistischen Faschismus in guter deutscher Tradition.
monsters: Wie wichtig war der G20-Gipfel für euren Protest? Wie sähe ein guter Gipfel aus?
[femko]: Naja, es ist ja nicht so, dass wir sonst nichts gegen die herrschenden Ungerechtigkeiten tun würden oder unser Protest, den wir auf die Straße bringen, nach einer schlichten Kosten-Nutzen-Rechnung funktioniert.
Wenn es darum geht, welche Rolle der Gipfel für uns im Nachhinein spielt: Für kommende Aktionen haben wir viel gelernt und uns vernetzt. Solidarität ist Praxis geworden.
Zur zweiten Frage können wir sagen: Wir brauchen diesen G20-Gipfel nicht und er gehört abgeschafft, weil es in diesen neokolonialen kapitalistischen Verhältnissen immer ein Gipfel der Herrschenden sein wird, der Ausbeutung und Unterdrückung fortschreibt.
monsters: Ist der Verlauf des G20-Gipfels und das Fehlen linker Deutungshoheit in einem Großteil der Medien und der Zivilgesellschaft eine große Gefahr für eine schon bereits marginalisierte, politische Linke?
[femko]: Uns ist nicht so klar, was du mit Verlauf meinst. Die Polizeigewalt? Das Außerkraftsetzen rechtsstaatlicher Prinzipien? Ja, davon geht eine große Gefahr aus. Aber die besteht ja nicht nur für linke Bewegungen. Sie betrifft die gesamte Gesellschaft.
Hier geht es ja nicht um eine Image-Frage oder so. Wenn für unseren Protest nur ausschlaggebend wäre, was das jeweils für eine Linke heißt, stimmt doch was mit unserer politischen Haltung nicht. Wir bestehen ja nicht aus einem ‚linken Selbstzweck‘ und sind auch keine Partei, die auf Erfolg bei Wahlen aus ist. Natürlich muss unser Protest soweit möglich inhaltlich vermittelbar sein. Das Fehlen linker Deutungshoheit im öffentlichen Diskurs ist jedoch kein Zufall. Es zeigt den Zustand der Gesellschaft auf: Da sind wir wieder beim Rechtsruck und den autoritären Tendenzen. Es gibt in der aktuellen Situation aber auch konkrete Gefahren für Linksaktivist*innen, wie verstärkte Repression und Angriffe auf linke Zentren und Häuser.
monsters: Wie geht es mittel- und langfristig mit der Linken weiter?
[femko]: Meinst du, was wir aus den Gipfelprotesten für linke Politik mitnehmen? Ein wichtiger Punkt ist für uns, die starke Solidarität, die wir in Hamburg erlebt haben. Das möchten wir gerne mit in unsere weiteren Kämpfe nehmen. In diesem Zusammenhang schicken wir auch ein großes Danke an die Aktivist*innen in Hamburg! Wir waren wirklich beeindruckt, was da an Support-Strukturen aufgebaut und über Tage aufrecht erhalten wurde. Jetzt gilt es erst recht, diese Projekte zu verteidigen und sich gegen Repressionen zu wehren.
In der Vorbereitung auf den Gipfel und auch vor Ort hat sehr viel Vernetzung stattgefunden, wovon sicherlich einiges bestehen bleibt bzw. Neues daraus entsteht. Und das Erleben solcher Gipfelproteste hat natürlich auch ein hohes Politisierungs-Potential für Menschen, die gerade erst anfangen, sich politisch zu engagieren.
Wie es grundsätzlich mit ‚der Linken‘ weitergeht, hängt natürlich auch immer von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen ab. Die aktuellen autoritären Bestrebungen lassen da allerdings nichts Gutes erwarten.
Für uns ist für eine emanzipatorische Bewegung wichtig, verschiedene Kämpfe, die sonst klassischerweise eher nebeneinander stehen, miteinander zu denken. Konkret sind z.B. die Proteste von Geflüchteten ein enorm wichtiger Teil linker Kritik.
Wir finden es auf jeden Fall total wichtig, diesen scheiß Gipfel nicht einfach stehen zu lassen, sondern an emanzipatorische Kämpfe anzuknüpfen.
Dafür braucht es diese linke Solidarität, trotz aller Differenzen.
Category: Debatte
Soli-Erklärung mit den „frechen Panthern PoC“
Wir von Femko möchten hiermit verspätet den frechen Panther PoC unsere Solidarität aussprechen.
Im Nachhall einer im Januar 2017 von Association Progrès und dem Fachschaftsrat Sozialwissenschaften (FSR SOWI) organisierten Veranstaltung mit Klaus Blees (Aktion 3.Welt Saar) wandten sich die frechen Panther PoC mit einer Stellungnahme an die Organisator_innen und die linke Göttinger Öffentlichkeit.
Die frechen Panther PoC machten darauf aufmerksam, dass dieser Vortrag keine konstruktive Kritiken an Critical Whiteness (Kritischem Weißsein) setzte. Stattdessen war der Vortrag von vielen rassistischen Äußerungen des Referenten durchzogen (s. Stellungnahme der frechen Panther PoC). Auch wir fanden den Vortrag problematisch und teilen die Kritikpunkte der frechen Panther PoC.
Auf das Schreiben der frechen Panther PoC gab es bisher unseres Wissens nach keine öffentlichen solidarischen Reaktionen. Davon nehmen auch wir uns nicht aus, finden es aber sehr problematisch. Das ist ein bezeichnendes Beispiel dafür, dass die Thematisierung von Rassismus nach wie vor häufig von Betroffenen von Rassismus übernommen wird. Nur von den Veranstalter_innen wurde eine Stellungnahme veröffentlicht. Aus unserer Sicht fehlte es dieser an Bereitschaft, die frechen Panther PoC in ihrer Kritik ernst zu nehmen und in eine respektvolle inhaltliche Auseinandersetzung zu
gehen. Wir wünschen uns konstruktive inhaltliche Diskussionen, die über eine pauschale Ablehnung von Critical Whiteness hinausreichen und es als eine wichtige Grundlage für antirassistisches Handeln ernst nehmen. Beides haben wir in der Veranstaltung vermisst.
Der Ansatz von Critical Whiteness hilft uns dabei, einen kritischen Umgang mit eigenen gesellschaftlichen Privilegien zu entwickeln. Eine Basis für gemeinsames antirassistisches Handeln setzt unserer Meinung nach voraus, dass sich gerade Leute, die von Rassismus profitieren, mit der Wirkmacht von Rassismen auseinandersetzen und diese aktiv bekämpfen.
Das heißt für uns nicht, dass Critical Whiteness ein abgeschlossenes und feststehendes Konzept ist. Wir halten es für sinnvoll, Grenzen und Möglichkeiten zu diskutieren. Über eine vermeintliche Kritik an Critical Whiteness jedoch rassistische Begriffe, Redensarten und Fremdzuschreibungen von Menschen zu re_produzieren, ist weit entfernt von antirassistischen Gesellschaftsentwürfen und gehört für uns weder auf die Veranstaltungsagenda emanzipatorischer Gruppen noch an die Universität.
Immer wieder schön: Diskussionen zu Militanz und Feminismus
In der GöDru Nr. 720 zum 1. März 2013 gab es einen Beitrag zu Militanz und Feminismus, an den wir mit unseren Überlegungen anknüpfen wollen.11 Anlass für den Artikel bot eine Situation auf der 8. März-Demo 2012, bei der Demoteilnehmer*innen den schwarzen Block als mackrig kritisiert haben. Anhand dieser Situation wird von den Autor*innen des Artikels darauf geschlossen, dass Militanz seitens Göttinger Feminist*innen generell abgelehnt werde. Dies wird mit einem „queeren Habitus“ der feministischen Szene in Göttingen in Verbindung gebracht. Im weiteren Verlauf wird darauf hingearbeitet, Militanz als emanzipatorischen Akt für Frauen* zu vermitteln, wobei auf die Gefahr hingewiesen wird, Militanz auf einen Habitus oder bestimmte Style-Codes zu reduzieren. Ebenso wird der Zusammenhang von Militanz und Männlichkeit diskutiert. Letztlich kommen die Autor*innen des Artikels zu dem Schluss, dass eine Aneignung von Militanz durch Frauen* als Befreiungsakt und Kampfansage an sexualisierte Gewalt politisch notwendig sei.
Wir wollen im Folgenden einige Aspekte herausgreifen und aus unserer queerfeministischen Perspektive kommentieren. Teilweise zitieren wir dabei Stellen aus dem Text der A.L.I., um nachvollziehbar zu machen, worauf wir unsere Überlegungen stützen. Diese werden wir mit dem Anlass des Artikels und dessen Wahrnehmung und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen über eine Göttinger feministische Szene beginnen. Es folgen Überlegungen zum Militanzbegriff sowie Fragen nach Zusammenhang und Bedeutung von politischer Haltung und einem bestimmten (militanten) Auftreten. Wir verfolgen außerdem die Diskussion, inwieweit Militanz als emanzipatorischer Akt für Frauen* gewertet werden kann und wie eine (queer)feministische Aneignung aussehen könnte oder eben nicht. Am Ende wollen wir einen kurzen Ausblick geben, was wir für eine Diskussion über Militanz und Feminismus hilfreich und notwendig finden.
queer- vs. differenzfeminismus & macker-militanz
Anhand der genannten Situation auf der 8. März-Demo 2012 wird von den Autor*innen eine Verallgemeinerung und Bewertung ‚der‘ feministischen Szene in Göttingen vorgenommen. Ihr wird sowohl eine Fokussierung auf einen „queeren Habitus“ in der Praxis als auch eine differenzfeministische Haltung unterstellt, die Militanz mit Mackertum/Männlichkeit gleichsetze. Differenzfeministisch werde Militanz daher pauschal abgelehnt, wobei denjenigen Frauen* eine feministische Position abgesprochen werde, die militant auftreten.1
Uns irritiert, wie aus einer Situation, an der nur eine handvoll Leute beteiligt waren, eine feministische Szene gebaut wird, der zugleich eine bestimmte Haltung unterstellt wird. Und uns stellt sich die Frage, wozu eine solche Argumentation dient. Darauf kommen wir später nochmal zurück.
Dieser Szene zugleich einen queeren Habitus zu attestieren und eine differenzfeministische Haltung zuzuschreiben, macht ohne weitere Differenzierung keinen Sinn. Die beiden Aspekte queer (z.B. Kritik an Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexismus) und Differenzfeminismus (z.B. Kampf für Frauenräume) lassen sich in der queerfeministischen politischen Praxis miteinander verbinden (z.B. Kampf für FrauenLesbenTransInter*-Räume). Gleichzeitig können die theoretischen Grundlagen und die Praxis im Widerspruch stehen.
Unklar ist uns, was die Autor*innen unter dem „queeren Habitus“ eigentlich verstehen; noch unklarer ist uns, inwiefern dieser für eine generelle Ablehnung von Militanz (mit)verantwortlich sein soll. Das finden wir umso problematischer, weil queer für uns ein politischer Begriff ist und wir selbst davon genervt sind, dass er häufig kontextlos in den Raum geschmissen wird, irgendwie auf einen (unpolitschen) Lebensstil reduziert oder abgewertet wird.
Worauf wir aber eingehen können, ist die Unterstellung des Differenzfeminismus, der laut A.L.I. die Grundlage von Kritik an Mackertum in der Linken darstellt. Mit einer solchen Kritik werden aber aus unserer Perspektive nicht ‚biologische‘ Männer oder vermeintlich wesenhafte, unveränderliche männliche Eigenschaften abgelehnt (also klassisch differenzfeministisch). Die Kritik richtet sich gegen patriarchale Dynamiken, Strategien, Verhaltensweisen, die uns in linken Räumen zu schaffen machen.
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Feminismus bitte – danke.
nach der queerfeministischen „it hits you like a boomerang – gegen alltäglichen sexismus“ – demonstration zum 8. märz 2012 gab es viele kritische reaktionen, zuletzt in der gödru nr. 712 im juli 2012 mit dem artikel „it hits you like a boomerang“ von der ag feministische gesellschaftskritik. wir haben uns entschlossen, pünktlich zum frauenkampftag 2013 nochmal ein paar dinge, die uns wichtig erscheinen, loszuwerden.
wir haben uns gefragt, weshalb argumentative und inhaltliche unzulänglichkeiten in einem demo-aufruf gerade bei einer (queer)feministischen demonstration thematisiert werden – als ob da „immer alles drin stehen“ könnte und müsste.
in dem besagten gödru-artikel als auch bei monstersofgoettingen wird am demoaufruf und an feministischen interventionen allgemein kritik geübt, wobei der demo-aufruf zum anlass für eine sprachlich sehr ausschließende akademische diskussion über angeblich in queer-feministischer politik fehlende zusammenhänge von linksradikaler kapitalismuskritik und anti-rassismus genommen wird. dabei wird auf konkrete beispiele aus dem demo-aufruf ebenso verzichtet wie auf eine bezugnahme auf die tatsächlichen inhalte, die redebeiträge der demo. das lässt die geübte kritik diffus und willkürlich erscheinen und eröffnet aus unserer sicht nicht genügend raum für eine solidarisch-kritische auseinandersetzung zu feministischer/antisexistischer theorie und praxis.
uns verwundert die unterstellung, der „göttinger feminismus“ würde ausschließlich identitäts-politik betreiben, denn so gut wie alle demokonzepte sind auf identitätspolitische strategien angewiesen, um öffentliche aufmerksamkeit zu erlangen. uns irritiert, dass dies ausgerechnet bei einer feministischen demo kritisiert wird und nicht etwa bei jeder anderen demo auch.
was ist denn so schlimm daran, sich aus einer von sexismus, homo-, bi- und transphobie betrof-fenen identitätsposition heraus die straße zurück erkämpfen zu wollen?! neben der nicht wert-schätzenden art des artikels sprechen die verfasser_innen den aktivist_innen ab, zu wissen, weshalb sie sich wofür und wogegen wie einsetzen, als hätten sie keinen plan davon:
jahr(zehnt)e (queer)feministischer interventionen in und um göttingen bleiben damit unerwähnt, schlichtweg unsichtbar. genau einige dieser kämpfe und ihre kämpfer_innen – ob organisiert oder nicht – wollen wir im zuge des 8. märz 2013 aber nochmal würdigen.
ein riesiges * D A N K E * aaaaaan:
alle basteltalente, die die göttinger straßen mit stencils und bildern gegen patriarchat und anderen mist vollpflastern, sticker verkleben, buttons herstellen und verschenken
das café kabale für den frauenlesbentrans*-dienstag-abend
alle leute, die sich für antisexistische securitykonzepte und ansprechschichten auf veranstaltungen, parties etc. stark machen, die für die definitionsmacht von betroffenen sexualisierter gewalt fighten, sich gegen sexistische übergriffe auf der straße, beim job, zuhause, in der schule, jugendgruppe, gegen sexistische fußballclubs bei facebook, auf dem rasen, an der uni und anderswo wehren und zusammenschließen;
das nicht mehr bestehende genderreferat des asta, das wieder einmal nun einem anderen referat untergeordnet wurde
das ehemalige autonome frauenlesbenzentrum in der düsteren straße
das team des frauennotrufs und das team des frauenhauses göttingen, die sich sei jahrzehnten für betroffene häuslicher und / oder sexualisierter gewalt einsetzen,
die lesbischwulen kulturtage
linksmasche
das orga-team des frauenlesbentrans*-café im juzi, dass es seit gut 2 jahren monatlich gibt,
das ehemalige lesbentelefon-göttingen,
unterstützer_innen-kreise für betroffene sexualisierter gewalt, die sich den arsch aufreißen, um (linke) räume für gewaltbetroffene offen zu halten
die fantifa
den ak gender
die leute, die seit 2007 das antifee-festival auf die beine stellen, sich tage und nächte treffen um die ohren schlagen und ein zeichen gegen sexismus und nationalismus und für ein selbstbestimmtes leben setzen,
alle leute, die (queer)feministisch-emanziptatorische veranstaltungen planen, machen, texte schreiben und diskussionen anregen
das fem.stars-bündnis, das u.a. ein riesenobertolles lokales femo-geschichtsbuch herausgegeben hat
alle leute, die feministische demoparolen sammeln und für andere zur demo mitbringen,
die „stolze huren“- regenschirme als zeichen der solidarität mit sexarbeiter_innen aufspannen;
die mackergehabe auf der straße konfrontieren und bei homophoben scheißsprüchen nicht wegschauen;
die wendo-gruppen gründen und selbstverteidigungs-skills an andere flt* weitergeben;
alle, die demos gegen herrschende schönheitsideale veranstalten, den lauti schieben, übersetzen, zuhören,
tüfteln, transportieren, geld spenden, für andere gekocht, applaudiert, gejohlt, kritik geäußert haben….
bestimmt haben wir nicht alle aufgezählt. wem wollt ihr noch danken?
hier ist der platz _____________________________
*….macht weiter so! *solidarische grüße von femko
Auf facebook politisch unterwegs?
Mit dieser Frage hat sich jüngst die linksradikale Komunikations- und Publikationsplattform nadir.org beschäftigt und ein klares Statement abgegeben. Der Text ist sicherlich an verschiedenen Stellen kritisierenswert, aber es steckt auch viel berechtigte Kritik darin und wir hoffen, er stößt eine Diskussion an, die unserer Ansicht nach zu wenig geführt wird. Für uns ist die Frage dabei nicht nur, ob Menschen einen facebook-Account haben sollten oder nicht, sondern vielmehr: Wie lässt sich facebook politisch nutzen, ohne Netzwerke und Strukturen offenzulegen? Ist das überhaupt möglich oder – wie auf nadir argumentiert wird – eben nicht?
Hier der Text von nadir.org! Wir freuen uns über eine rege Diskussion!
Plötzlich plappern Anna und Arthur
Seit Jahren betreiben wir Server und Kommunikationsdienste für linke Gruppen, geben wir uns alle Mühe, die Server sicher zu halten, wehren wir – mit unterschiedlichen Mitteln – Anfragen von Behörden zu irgendwelchen Daten ab. Kurz: Wir versuchen im kapitalistischen Internet eine emanzipatorische Basis der Kommunikation zu bieten. Seitdem auch viele Linke Facebook „nutzen“ (oder Facebook viele Linke nutzt), sind wir jedoch verunsichert: Vielen scheint es nun nicht mehr darum zu gehen, einerseits das Internet als Ressource für linke Kämpfe zu nutzen, andererseits aber das Internet selbst als politisch umkämpftes Terrain zu verstehen und sich in diesem Kampf dazu zu verhalten. Vielmehr wird unsere politische Arbeit selbst als defizitär und anstrengend wahrgenommen. Verschlüsselte Kommunikation mit autonomen Servern scheint nicht als emanzipativ, sondern als lästig angesehen zu werden.
Disneyland
Wir hatten einfach nicht verstanden, dass es nach all dem Stress auf der Straße und den langen Gruppendiskussionen der Wunsch vieler Aktivist_innen ist, auf Facebook in Ruhe über alles, was erlebt wurde, mit allen zu quatschen. Dass Facebook eben auch für Linke die sanfteste Art der Verführung ist. Dass auch Linke es genießen, dort, wo es scheinbar nicht weh tut, den Strömen der subtilsten Form der Ausbeutung zu folgen und endlich einmal keinen Widerstand zu leisten. Das schlechte Gewissen, das viele dabei sicherlich plagt, weil sie wissen oder ahnen, welche fatalen Konsequenzen Facebook mit sich bringt, scheint hierbei keine besondere Handlungsanweisung zu erteilen.
Ist es wirklich Unwissenheit?
Um einmal kurz zu skizzieren, was das Problem ist: Mit der Benutzung von Facebook machen Linke nicht nur ihre eigene Kommunikation, Meinung, „Likes“ usw. transparent und prozessierbar. Sondern, und dies halten wir für weit folgenreicher, es werden linke Strukturen und Einzelpersonen, die selbst mit Facebook wenig oder gar nichts zu tun haben, aufgedeckt. Die Mächtigkeit Facebooks, das Netz nach Relationen, Ähnlichkeiten usw. zu durchsuchen, ist für Laien kaum vorstellbar: Mit dem Plappern auf Facebook werden für Behörden und Konzerne politische Strukturen reproduziert. Diese können dann bequem nach bestimmten Fragen durchsucht, geordnet und aggregiert werden, um präzise Aussagen nicht nur über soziale Relationen, wichtige Personen in der Mitte usw. zu produzieren, sondern auch auf der Zeitachse bestimmte Prognosen treffen zu können, die sich aus Regelmäßigkeiten ableiten lassen. Facebook ist die subtilste, billigste und beste Überwachungstechnologie neben Handys!
Linke Facebooknutzer_innen als unbezahlte V-Leute?
Wir hatten immer gedacht, es geht der Linken um etwas anderes: Die Kämpfe auch im Internet weiterzuführen. Und darum, das Internet für die politischen Kämpfe zu nutzen. Uns geht es darum – auch heute noch. Deshalb sehen wir in Facebook-User_innen eine echte Gefahr für unsere Kämpfe. Und besonders Linke auf Facebook produzieren (meist ohne zu ahnen, was sie tun) wertvolles Wissen, auf das Verfolgungsbehörden in zunehmendem Maße zurückgreifen. Wir könnten fast soweit gehen, diese Linken der Kompliz_innenschaft zu beschuldigen. Aber soweit sind wir noch nicht. Noch ist unsere Hoffnung nicht gestorben, dass sich die Einsicht einmal durchsetzt, dass Facebook ein politischer Gegner ist. Und, dass diejenigen, die Facebook nutzen, Facebook immer mächtiger machen. Linke Facebooknutzer_innen füttern erst die Maschine und legen damit Strukturen offen! Und dies ohne Not, ohne Richter_in, ohne Druck.
Standpunkt
Uns ist klar, dass wir von einer gewissen Höhe herab sprechen. Da wir uns seit Jahren mit dem Netz und Computern, Systemadministration, Programmieren, Kryptographie und einigem mehr beschäftigen und teils damit unser Geld verdienen, ist Facebook quasi ein natürlicher Feind für uns. Da wir uns außerdem als Linke verstehen, addiert sich dazu noch eine Analyse der politischen Ökonomie Facebooks, in der „User_innen“ zum Produkt werden, an das gleichzeitig auch verkauft wird. In der Fachsprache heißt das „demand generation“. Uns ist klar, dass sich nicht alle mit solcher Hingabe mit dem Internet auseinandersetzen, wie wir es tun. Aber dass Linke dieses trojanische Pferd namens Facebook an ihrem Alltag teilhaben lassen, ist weniger Ausdruck von Unwissenheit als von Ignoranz an einer extrem kritischen Stelle.
Wir fordern mit allem Nachdruck alle auf: Schließt Eure Facebook-Accounts! Ihr gefährdet andere! Verhaltet Euch zu diesem Datenmonster!
Und ansonsten: Verlasst GMX und Co! Nieder mit Google! Gegen die Vorratsdatenspeicherung! Für Netzneutralität! Freiheit für Bradley Manning! Hoch die Dezentralität!
Fight Capitalism! Auch – und gerade – im Internet! Gegen Ausbeutung und Unterdrückung! Auch – und gerade – im Internet!
Nervt Eure Genoss_innen. Macht ihnen klar, dass, wenn sie Facebook füttern, sie sich echt mit der falschen Seite eingelassen haben!
nadir, im Oktober 2012