Die Genoss*innen der Basisdemokratischen Linken Göttingen (BL) haben in den letzten Tagen nach der Enttarnung des V-Manns Gerrit Greimann viel Pressearbeit geleistet. Aber auch sonst ist das Thema stark präsent in den Medien (Interview im FR, taz und mehr) sowie den politischen Diskursen (GT, Die Linke, Jusos), leider geht es dabei häufig weniger um eine Kritik an der Instution des VS…
Deswegen wollen wir nochmal auf den ganz prägnanten Beitrag von der BL dazu aufmerksam machen:
Der VS ist das Problem und kann kein Teil der Lösung sein
Die Grundlage der Enttarnung von Gerrit Greimann als Vertauensperson (VP) des Landesamtes für Verfassungsschutz (VS) Niedersachsen war ein Auskunftsersuchen einer Aktivistin unserer Gruppe bei diversen staatlichen Institutionen. Ziel dieses üblichen rechtsstaatlichen Mittels ist zunächst einmal die Offenlegung von gespeicherten Informationen. Es dient also dazu herauszufinden, ob und wenn welche Daten über die antragstellende Person gesammelt wurden. Jede*r kann so ein Auskunftsersuchen stellen. Auf diese Weise kann man versuchen sich zu schützen und gegen staatliche Eingriffe in die Privatsphäre durch unrechtmäßige Speicherung von persönlichen Daten oder – wie in diesem Fall – durch umfangreiche Bespitzelung ganzer politischer Strukturen vorzugehen. Stellt man auf diesem Wege nämlich eine Speicherung fest, kann gegen diese geklagt werden und, wenn sie sich als unrechtmäßig erweist, vor dem Verwaltungsgericht eine Löschung der Daten juristisch erwirkt werden.
Auskunftsersuchen sind also keineswegs ein Problem, sondern ein wichtiges und notwendiges Mittel zum Schutz vor der Verletzung der eigenen Persönlichkeitsrechte. Dieses Auskunftsersuchen nun als Reaktion auf den aktuellen Skandal zu erschweren oder gar zu verbieten wäre nicht nur ein massiver Einschnitt in die Rechtsstaatlichkeit, sondern zusätzlich eine völlig abwegige Schlussfolgerung.
Die aktuell geführten Personaldebatten in Hannover gehen am Kern der Sache vorbei und tragen dazu bei, den eigentlichen Skandal in den Hintergrund zu drängen. Nicht Frau Brandenburger ist das Problem, sondern die Existenz und die Methoden des fälschlicherweise als „Verfassungsschutz“ bezeichneten Inlandsgeheimdienstes. Skandalös ist die Überwachungspraxis des VS, nicht das versehentliche Enttarnen der eigenen V-Person durch Schusseligkeit. Aktivist*innen, die für eine solidarische Gesellschaft eintreten, werden bis in den privatesten Lebensbereich hinein bespitzelt. Die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen werden übergangen und das wichtige und legitime politische Engagement wird kriminalisiert.
In der öffentlichen Debatte wird nun der Täter – der enttarnte V-Mann – zum Opfer der Situation stilisiert. Den wirklichen Leidtragenden, die über zwei Jahre systematisch ausgeforscht und bespitzelt wurden, wird keine Beachtung geschenkt. Dabei gleicht diese Verschiebung der Debatte politischem Kalkül, um sich der kritischen Auseinandersetzung zu entziehen: Höchstens wird ein personeller Wechsel an der Spitze der Institution gefordert, die Frage der Legitimität dessen, was nun aufgedeckt wurde, bleibt unangetastet. Der eigentliche Skandal ist doch vielmehr die Bespitzelung politisch engagierter Menschen, von der 18-jährigen Schülerin bis zum 50-jährigen Uni-Dozenten, die sich gegen rassistische Hetze, für die Rechte von Geflüchteten, für faire Arbeitsbedingungen und gegen den Mietenwahnsinn einsetzen. Das alles wird mit der Überwachung durch den Verfassungsschutz massiv kriminalisiert und zu delegitimieren versucht. Es handelt sich wohlgemerkt um dieselbe Institution, die im Rahmen des NSU-Skandals in massive Erklärungsnöte gekommen ist, deren V-Leute maßgeblich an den rassistischen Morden beteiligt waren und deren ehemaliger Chef sich
jüngst als Opfer einer Verschwörung „linksradikaler Kräfte in der SPD“ neu erfunden hat.
Der Zweck des euphemistisch als „Verfassungsschutz“ betitelten Inlandsgeheimdienstes besteht in der Bespitzelung, Einschüchterung und Isolierung kritischer Bürger*innen. Seine Befürworter*innen würden in anderen Kontexten stets laut „Stasi-Methoden“ rufen. Wenn sie sich nun lediglich darüber aufregen, dass die Ausforschung der Betroffenen nicht ungestört fortgesetzt werden kann, lässt das tief blicken. Der jüngst enttarnte Spitzel ist nur einer von vielen, die auf emanzipatorische
Bewegungen angesetzt sind. Ihr größter Misserfolg wird es sein, wenn wir trotzdem weiterhin offen und engagiert für eine bessere Gesellschaft eintreten, die anderen Regeln als denen der kapitalistischen Verwertungslogik folgt.